Im Gras liegen und in den Himmel schauen – eine Predigt zu Christi Himmelfahrt

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Liebe Schwestern und Brüder!
Als Kind habe ich es öfters gemacht, jetzt als Erwachsener leider eher selten, also nur noch, wenn ich wirklich Zeit und Muse dazu habe, zum Beispiel im Urlaub: sich ins Gras legen und in den Himmel schauen. Es ist ein wunderbares Gefühl. Ich liege auf weichem Boden, die Arme sind hinter dem Kopf verschränkt. Das Gras duftet, die Sonne scheint, ich höre das Summen der Bienen. Ich schaue in den Himmel: Wolkenformationen werden in meinem Kopf zu Bildern, ja zu Geschichten. Das beruhigt ungemein und es stellt sich eine satte Zufriedenheit ein. Eigentlich möchte ich gar nicht mehr aufstehen. Ja, der Blick in den Himmel lädt zum Träumen ein. Er schenkt für einen kurzen Moment das Gefühl von innerem Frieden und Glück. Ich bin eins mit der Welt und mit mir. Es ist einfach schön.
Vielleicht haben sich bei den Jüngern in der heutigen Lesung ähnliche Glücksmomente eingestellt, bestimmt gemischt mit einer gehörigen Portion Wehmut. Glücksmomente, weil Jesus, den sie tot geglaubt hatten, plötzlich vor ihnen erschienen ist und ihnen dadurch deutlich wurde: Jesus ist nicht tot, er lebt, er ist auferstanden! Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Das Leben ist stärker als der Tod, das Licht besiegt die Dunkelheit. Wehmut, weil Jesus sich nun von ihnen verabschiedet und dorthin zurückkehrt, wo er hergekommen ist. Dorthin schauen sie ihm nach: in den Himmel; so, wie ich, wenn ich im Gras liege.
Doch sehr schnell werden die Jünger auf den Boden der Realität zurückgeholt: “Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor”, so hören sie eine fast vorwurfsvolle Stimme. Und auch mir geht es nicht anders. Ich muss irgendwann aufstehen, muss mich von meinem Platz im Grünen trennen und anstatt weiter in den Himmel zu schauen, mich der Realität meines Lebens stellen.
Doch es bleibt die Erfahrung: Der Blick in den Himmel lädt zum Träumen ein. Zum Träumen vom Glück, vom Frieden, von der Freiheit, vom Loslassen und Erlösung, von Licht und Wärme, Zufriedenheit und vielem mehr. Ist das wirklich nur ein Traum, nur etwas für Traumtänzer?
Die Stimme aus dem Himmel klingt wahrscheinlich deshalb so vorwurfsvoll, weil die Jünger und ich es eigentlich besser wissen müssten. Der Himmel ist nicht nur ein Traum, er ist Wirklichkeit und kann zur Wirklichkeit werden. Warum müssten wir es eigentlich besser wissen – die Jünger und ich und wir? Weil Jesus so oft davon erzählt hat, vom “Himmelreich”, das bereits hier auf Erden angebrochen ist und in der Ewigkeit in seiner ganzen Fülle auf uns wartet. Jesus hat uns mit seinem Reden und mit seinem Handeln ja quasi den “Himmel” regelrecht vor Augen geführt – ohne dass wir nach oben schauen müssten – uns gezeigt, wie “himmlische Moment” in diesem Leben erfahrbar werden können.
Etwa wenn wir uns gegenseitig helfen, wenn wir uns achten und respektieren, wenn niemand ausgegrenzt wird, wenn wir eintreten für Frieden und Gerechtigkeit, wenn wir einander verstehen und verzeihen können, wenn wir uns bewusst werden, dass Gott uns unendlich liebt usw. In all dem wird “Himmelreich” erfahrbar, öffnet sich also ein “Be-reich”, ein Raum, wo der Himmel zur Erde kommt, für einen kurzen Moment “paradiesische Zustände” herrschen. Dafür müssen wir tatsächlich nicht nach oben schauen, sondern auf uns selbst und auf diese Welt.
Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu zeigt, dass es keine Trennung gibt zwischen oben und unten, zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch. Der Himmel ist schon in dieser Welt erfahrbar und diese Welt wird sich einst im Himmel vollenden. Gott wird in Jesus Mensch und jeder Mensch trägt einen göttlichen Funken in sich. Den gilt es zu entfalten, dann wird “Gottes Rech” oder das “Himmelreich” sich in dieser Welt verwirklichen. Alles hängt miteinander zusammen.
Das Ziel für uns Christen, das worauf unser Leben zuläuft (im wahrsten Sinne des Wortes) ist der Himmel. Aber eben in zweifacher Hinsicht: Zum einen, dass wir im Namen Jesu daran arbeiten, hier auf Erden den Himmel immer wieder ein wenig zu verwirklichen und dass wir am Ende des Lebens eingehen werden in die himmlische Herrlichkeit, wie Jesus es uns vorgemacht hat.
Deshalb gilt es hier auf Erden für die Verwirklichung des Himmels zu arbeiten und zu kämpfen; und dann dort, in der Ewigkeit, werde ich mich sicher auch wieder ins paradiesische Gras legen können und einfach in den Himmel schauen.

(Stephan Eschenbacher)